Der Kalkofen vom Huppertsbracken
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Im Düsseltal, unweit der Winkelsmühle, steht am Wanderweg, der an
der Düssel vorbei in Richtung Gruiten führt, ein alter Kalkofen. Auf
den ersten Blick meint man ein halbverfallenes Industriedenkmal zu
sehen. Das ist gewollt. Denn genau an dieser Stelle gab es einst
einen Kalkofen, der wahrscheinlich schon lange vor 1633 gebaut
worden war. Er war einige Jahrhunderte lang in Betrieb, verfiel, als
er nicht mehr gebraucht wurde, in den 1930er Jahren, war danach
viele Jahre fast verschwunden im Abhang unter Erde und Laub – und
wurde von 1984 bis 1986 in Teilen sehr liebevoll wieder aufgebaut.
Genau genommen steht also der Kalkofen seit mindestens 370 Jahren
hier an der Düssel (wenn man großzügig die 50 „unsichtbaren“ Jahre
mitzählt).
Seine Geschichte
Das „Baujahr“ ist nicht bekannt.
Als erster bildlicher Nachweis kann die Skizze in einer
kürzlich im Landesarchiv Düsseldorf entdeckten Karte von 1633[1]
gelten. Dort ist ein Bracker Kalckoffen nahe beim Hof Bracken
eingezeichnet.
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Abb. 1: LAV NRW HSA
Düsseldorf, Karte von 1633 aus RKG W 188/471, Vol 2, Ausschnitt
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Ob damit unser Kalkofen
gemeint ist, bleibt nachzuprüfen.
Der Hof Bracken wurde schon im Zeitraum 1218/31 im
Heberegister der Höfe des Stifts Gerresheim erwähnt. Sein Name, mhd.
brâche, ist ein Hinweis auf Kalkbrechen. Es gab aber
mindestens drei Höfe Bracken: Der Große Bracken, der Kleine oder
Brücken-Bracken und die Bracker Mühle. Der Große Bracken und die
Bracker Mühle wurden niedergelegt. Der Brücken-Bracken blieb
erhalten. Er steht auf der rechten Seite der Düssel an der
Düsselbrücke (Adresse heute: Haan-Gruiten, Bracken 8).
Wenn es einen Kalkofen vom Huppertsbracken
gibt, muss es einen Hof Bracken gegeben haben, der einem Huppert
(Herbert?) gehört hatte. Nachweisbar ist dieser Huppert nicht; man
findet ihn weder im Kirchenbuch noch in einem Abgabenverzeichnis.
Der Kalkofen aber wird in einem Wegestreit zwischen Thunis, Schragen
und Bracken um den Holz- und Kalkweg erwähnt. Die
Gerichtsverhandlung zwischen Peter Thunis und Peter Krenkels fand in
der Präfektur Gerresheim im Jahre 1784 statt. Die Urkunden, mit
denen die streitenden Parteien ihre Rechte begründen, stammen
glücklicherweise aus den Jahren 1655, 1672, 1677 und 1678.
In der Urkunde von 1655 heißt es:
„... Wan der weeg von Kalck, und Kohl fuhren gebraucht wird,
zwölf Malter Kalcks zu lieferen, und verabfolgen zu lassen; solte
aber der Kalckoffen nicht angezündet, noch Kalck gebrant werden, und
also kein weeg liegen bleiben, so solle destoweniger nicht der holtz,
und heuweeg über dieses verkauftes stück Lands zu gelegener Zeit den
Verkäuferen, und deren Erben unentgeldlich gestattet werden
....“ |

Abb. 2: LAV NRW HSA Düsseldorf, Berg. Gerichte,
Amt Mettmann, 1655,
Nr. 214, Bl. 06V |
Gemeint ist: Wenn der Weg zwischen dem Hof Thunis oder dem Hof
Schragen und dem Hof Bracken für Kalk- oder Kohlenfuhren genutzt
wird, müssen dafür 12 Malter Kalk geliefert werden. Wenn dagegen der
Kalkofen nicht angezündet und kein Kalk gebrannt wird, dürfe die
Benutzung des Weges über das verkaufte Stück Land von den Verkäufern
und deren Erben unentgeltlich gestattet werden.
Auf der gleichen Seite unten wird der Huppertsbracken erwähnt:
“ ... Ihro Hochfürstliche Durchlaucht steuren, schatz, und
andere auflagen, gewön=, und
ungewöhnliche Imposten, wie die Nahmen haben,
und so wohl auf das erkaufte stück Lands, also
beiliegenden busch, und banden, so vorhin aus
Eheleüte, und deren Erben in der Thunes abstatten,
und entrichten...“
Gemeint ist: Die Käufer des Landstücks, zu dem der Wald und
die Wiese gehören, die sie vom Huppertsbracken gekauft haben, sollen
dem Kurfürsten die üblichen Steuern entrichten. (Kurfürst war zu
dieser Zeit Herzog Philipp Wilhelm
aus dem Hause
Pfalz-Neuburg. Er regierte von 1653 bis 1679.) Der Text gibt an, der
Huppertsbracken werde jetzt Mesenbracken (Bracken von Matthias oder
Bartholomeus ?) genannt.
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Ein Kaufbrief aus dem Jahre 1678 bezeichnet die Lage des
Buchenbusches mit dem Kalkofen. Er lag in der Honschaft Gruiten (die
zu dieser Zeit zum Amt Solingen, Vier Capellen, gehörte) zwischen
dem Bracker Feld, dem Schragener Busch, dem Bracker Banden und
Wilhelms Busch im Bracken.
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Abb. 3a:
LAV NRW HSA Düsseldorf,
Bestand Großherzogtum Berg, 1808, Nr. 13389, Rückseite (Adresse
auf dem Antwortbrief) |
Kalkbrennen
Der Kalkofen gehörte also seit 1678 der Familie Krenckels vom
Hof Auf dem Höchsten. Der schmucke Hof (1602 erstmals urkundlich
erwähnt) steht heute noch in der Mettmanner Flur auf dem höchsten
Punkt des Ortsteils Diepensiepen (Adresse heute: Mettmann,
Diepensiepen 38).
1780, nach dem Tod der Witwe Anna Katharina Krenckels,
geborene Blind, wurde über den Akt der Erbübertragung ein
wohlgestaltetes Heft angelegt. Der gesamte Hausrat wurde aufgelistet
und – was uns hier besonders interessiert – auch die Geräte des
Kalkofens.
“Das Guth Zum Höchsten in der Honschaft Depensiepen zu samt dem in
der Herrschaft Schöller Sortirenden Kalckofens Busch und jenen zu
den Bracken gelegenen Banden ...
Die Kalckofens
Gereidschaften:
Zwey reid hämmer;
Ein rohrbaum
circa 60 pfund;
Zwey Brech-Bäume;
Zwey steinbohren;
Zwey Piel Hacken;
Eine raum hack;
Zwey stein
Klopper;
Zwey stein
Beytelen;
Drey roster
Schaufeln;
Gemeint ist: zum
Gut Auf dem Höchsten gehört der Kalksteinbruch (Kalkofensbusch) und
die Bracker Wiese ... Als Gerätschaften des Kalkofens werden
genannt: Zwei Rüst- oder Vorschlaghämmer,
ein Rohrbaum, ein
eisernes Rohrgestell zum Einhängen und Transportieren der
Steinbrocken,
zwei Brechbäume
(das waren vermutlich lange stabile Eisenstangen, die die
Steinbrecher in den Fels trieben, um mit Hilfe der Hebelwirkung und
ihrer Körperkraft die Steine aus der Wand brechen zu können), zwei
Steinbohrer (lange Stangen mit einem scharfen gedrehten Ende. Sie
wurden mit einem Fäustel in den Stein getrieben), zwei Pielhacken
(Hacken zum Spalten des Steins), zwei Spitzhacken, eine Raumhacke
(Hacke zum Abräumen des abgeschlagenen Felsgesteins oder zum
Abtragen des Erdreichs über dem Kalkstein oder zum Ausräumen des
Ofens), eine Steingabel, zwei Steinklopfer (schwere Hämmer
mit langen Stielen zum Zerkleinern der Steinbrocken), zwei
Steinmeißel, drei Rostschaufeln (mit denen die Kalkbrenner die
heißen Kalkbrocken aus dem Ofen holen konnten), eine Kiste für die
Gerätschaften.
Unser Kalkmeiler vom Huppertsbracken
war ein Trichterofen. Dass er in den Abhang hinein gebaut wurde,
kann man noch heute sehen. Man grub waagerecht eine mannshohe Höhle
in den Hang und sicherte die Seitenwände durch Mauerwerk ab.
Oberhalb der Höhle wurde, ebenfalls waagerecht, die Böschung
abgestochen und zunächst planiert. Dann grub man von oben einen
trichterförmigen Schacht nach unten.
Der wurde mit gutem Ziegelstein und
fettem Lehm (als Mörtel) ausgemauert. An der unteren Sohle hatte er
drei Öffnungen. Um dem Ganzen mehr Stabilität zu verleihen und zur
besseren Isolierung wurde eine Vorderfront aus dicken Natursteinen
gebaut. Den Hohlraum zwischen Trichter und Vorderfront füllte man
mit Steinen und Erde aus. In den Trichter füllten die Kalkbrenner
nun die Kalksteinbrocken.
Die Kalköfen gehörten zu den
Bauernhöfen. Kalkstein wurde zunächst für den Eigenbedarf
gebrochen und gebrannt: Zur Düngung der Felder, als
Anstrichfarbe für Wohnstuben und Ställe und zusammen mit Wasser
und Sand als Mörtel für ihre Häuser. Handelsobjekt war der Kalk
zunächst nicht. Nach der Hungerzeit im Siebenjährigen Krieg
(1756 bis 1763) empfahl Herzog Karl-Theodor, seit 1742
Landesherr im Herzogtum Jülich-Berg, den Bauern, die Schätze
ihres Landes zu heben. Das brachte sowohl ihm als auch den
Bauern Geld ein. Aber das Kalksteinbrechen und –brennen war die
eine Sache – der Transport des
gebrannten
Kalks eine andere. Der Wegestreit von 1784, aus dessen Akten zu
Beginn dieses Aufsatzes zitiert wurde, gibt dafür ein beredtes
Zeugnis. Der 38 Seiten starke Akt, der zum Streit um den Kalk-
und Holzfahrweg angelegt wurde, liest sich wie ein
Kriminalroman. Weder Kläger noch Beklagter nehmen ein Blatt vor
den Mund und der Gerichtsschreiber notiert jeden Satz
getreulich. Es wollte eben jeder am Kalkbrennen verdienen: Der
Landesherr, der Besitzer des Feldes, über das der Kalk
transportiert werden musste bis zur Kommunalstraße und
schließlich der Bauer, dem der Kalkofen gehörte. Der Weg vom
Kalkofen im Düsseltal bis zum Hof auf dem Höchsten und bis zur
strata coloniensis bei Mettmann war weit. Es gab keinen anderen
Weg als über das Feld von Hof Thunis. Die streitenden Parteien
einigten sich schließlich darauf, dass Peter Krenkels, der
Beklagte und Kalkofenbesitzer, jährlich 12 Malter Kalk zahlen
musste. 1830 ging der Hof auf dem Höchsten an Peter Knab. Ihm
gehörte auch der Hof Thunis. Einen Streit um den rechten Kalkweg
konnte es nicht mehr geben.
Der Hof
Huppertsbracken
Der Nachweis
für den Hof Huppertsbracken kam überraschend ans Tageslicht. Das
Landesarchiv bewahrt eine Konzession für die Bracker Mühle auf:
„Nachdem uns Arnoldt Blasberg die unterthänigste Anzeig gethan
hat, daß er an die in der Herrschaft Schöller bey seinem
Herberts=Bracker Guth habende Öhl=Mühlen
ein ferneres Radt zur Schellung
Haaber und
Gersten
anfangen...“
Das bedeutet:
Arnold
Blasberg, Eigentümer des Herberts-Bracken, bat 1748 den
Pfalzgrafen Carl Theodor um die Erlaubnis, an seiner Ölmühle ein
zweites Mühlrad anbringen zu dürfen. Er erklärte, dass er
zusätzlich Hafer und Gerste mahlen wolle.
Das Aufschlussreichste für uns war die Adresse (die, wie damals
üblich, auf der Rückseite des Blattes stand):
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Abb. 3b:
LAV NRW HSA Düsseldorf,
Bestand Großherzogtum Berg, 1808, Nr. 13389, Rückseite
(Antwortbrief) |
„Concession von der Huppertzbracker mühle.
pres. am 17. 9ber
1808“
Die alte Bracker Mühle war also der lange gesuchte Huppertsbracken!
Zu diesem Hof hatte unser Kalkofen gehört.
Schade, dass die geschichtsträchtige Mühle, die in der Nähe des
Brücken Bracken gestanden hatte, 1960 abgerissen worden war.
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(c) H.
Eggerath
Das Mundloch |

(c) H.
Eggerath
Der Kalkofen |

Der Kalkofen 2012 |
Der
Wiederaufbau
Der Kalkofen war
noch lange im Betrieb. Es gibt ein Foto von 1928, das ihn noch in
einem guten Zustand zeigt. In den folgenden Jahren verfiel der
Kalkofen und wurde vergessen. Nur der obere Rundbogen des Mundloches
war, fast verdeckt vom trockenen Laub, im Abhang zu sehen.
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Das
Mundloch des Kalkofens 2012 |
Der Gruitener Heimatforscher Ernst
Breitbach regte die Wiederherstellung an. 1984 übernahm der
Zweckverband Erholungsgebiet Neandertal die Koordinierung der
Grabungs- und Aufbauarbeiten und der Hochdahler Restaurator Meinhard
Sucker die komplexe handwerkliche Ausführung.
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Der Kalkofen 2012 |
Im Juni 1984 wurde von der Nordseite
her das Mundloch mit dem Eingang zur Brennkammer und das seitliche
Mauerwerk frei gelegt. Im Juli konnte man den Lüftungsschacht auf
der nordöstlichen Seite erkennen. Im November rekonstruierten die
Bauarbeiter diesen Lüftungsschacht.
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Der Kalkofen 2012 |
Der Ofentrichter, die eigentliche
Brennkammer, wurde aus alten und neuen Ziegeln hergestellt und der
Zwischenraum zwischen Trichter und Außenmauer
mit
Kalkbruchsteinen und Erde gefüllt. Der südwestliche Rundbogen, von
dem noch ein Teilstück vorhanden war, wurde frei gelegt, aber nicht
aufgemauert. Von hier aus konnte man in den Trichter sehen. Mitte
1986 waren die Restaurierungsarbeiten am Kalkofen beendet. Die
Broschüre „Kalkofen Huppertsbracken – ein frühes Zeugnis der
Neandertaler Kalkindustrie“ hat den Wiederaufbau in allen Phasen
dokumentiert. In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Steine
verwittert. Moose und Flechten haben das Bauwerk überzogen.
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Der fertig
restaurierte Kalkofen im Mai
2012 |
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Der Kalkofen 2012 |
Hanna
Eggerath |
LAV
NRW HSA Düsseldorf, RKG W 188/471 Vol
II, 1633, darin eine Karte zur strittigen Jagdgerechtigkeit zwischen
Haus Unterbach und Haus Bavier
LAV NRW HSA Düsseldorf, Berg.
Gerichte, Amt Mettmann, Nr. 214, Bl. 16R, 17V
LAV NRW HSA Düsseldorf, Berg. Gerichte,
Mettmann, Nr. 7, I, fol 160-164.
Bei der Deutung der
Gerätschaften erhielt ich Hilfe von Frau Kuth, Mettmann und Frau
Prof. Hiltraud Ast, Gutenstein in Österreich.
Beschreibung des Brennvorgangs nach einem Brief von Ernst Breidbach,
Gruiten, von 1980, abgedruckt in der Broschüre „Kalkofen Huppertsbracken, ein frühes Zeugnis der Neandertaler Kalkindustrie,
eine Arbeitsstudie des Zweckverbandes Erholungsgebiet Neandertal“,
o. D., etwa 1986. Die Beschreibung wurde ergänzt durch
Schilderungen aus „Kalk und Cement“, 1903.
Helga Kuth in der Einleitung zur
Transkription der Lohnlisten, die im Stadtarchiv Mettmann aufbewahrt
werden
LAV NRW HSA Düsseldorf, Bestand Großherzogtum Berg, Nr. 13389 |
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